Hier kannst du immer einige meiner letzten Texte lesen:

 

"Siesta am Mincio" 2012

"Siesta in Saló" 2012

 

"Missverständnis"


 

Daseinsberechtigung


Vorwort:

Dieser Text wurde vor dem Beginn des schrecklichen Überfalls Russlands auf die Ukraine verfasst. Es ist furchtbar, dass Drohnen, von anonymer Menschenhand fremdgesteuert, zur massenhaften Vernichtung anderer Menschen zweckentfremdet werden. Das Töten vom Bildschirm aus ist die grausame Imitation der fiktiven Welt der Vernichtungsspiele am PC per Mausklick. 

Drohnen wurden eigentlich zum praktischen Einsatz bei friedlichen Missionen entwickelt, so z.B. zum Transport von Medikamenten oder für Luftaufnahmen zur Kartographie von Landschaften.

Daher erlaubte ich mir diese Satire zu verfassen, die zwar als Satire beginnt, aber als Mahnmal einer Novelle endet.


Gestatten, dass ich mich vorstelle!

Ich bin eine namenlose, unbekannte männliche Drohne mit reichlich Erfahrungshorizont. Ich gehöre zur Armada der vierhunderteinundzwan- zig mietbaren, baugleichen Super-Drohnen des Typs „Spionageengel“, die man per Mausklick via Internet unter „deinedrohnekommtinshaus.de“ problemlos buchen kann.

Ich bin übrigens Drohne Nummer 137. Meine vier Polypenarme, in denen die kleinen, niedlichen Kameras eingebaut sind, leuchten hell in der Dunkelheit, wenn ich meine Kontrollflüge nachts zu starten beginne. Heute will ich euch, meinem hochverehrten Publikum, exklusiv ein paar Anekdoten aus dem Nähkästchen meines Jobs erzählen.

Neulich musste meine Wenigkeit stundenlang über einem Heavy-Metall-Konzert kreisen und die kreischenden Sänger auf der Bühne filmen. Irgendein Veranstalter hatte mich bei meinem Chef gebucht und all´meine Einwände waren schlicht vergeblich gewesen. „Ich habe momentan Tinitus und höre sowieso schlecht, Chef, schicken Sie doch die 117, die ist auch frei!“, hatte ich ihm vorgeschlagen.

117 hatte sogleich lauthals protestiert und mit einem sofortigem ärztlichen Attest gedroht, da bei ihr eine heftige Laryngitis im Anflug sei.

„Außerdem bin ich eine Dame“, hatte sie darüber hinaus argumentiert und dieses Argument hatte bei meinem Chef gestochen, denn er hat einen Faible für Damen.

„Du fliegst, 137, und dabei bleibt´s, und damit basta!“

Also musste ich hin. Das war ein schlechter Job. Stinklangweilig und nur laut. Mir dröhnen heute noch meine bemitleidenswerten Lautsprecher-Aufnahme-Ohren! Deswegen heiße ich wahrscheinlich auch „Drohne“. Und warum ich all´ die langhaarigen Head-Bangers habe filmen müssen, die wie wild gewordene Außerirdische auf der Bühne hin- und hergesprungen sind, verstehe ich bis heute noch nicht. Aber das muss ich auch nicht. Job ist eben Job, fertig aus! Man kann sich nicht nur die Rosinen herauspicken. Das Leben ist schließlich kein Ponyhof!

Aber es gibt auch reizvollere, bessere Aufgaben.


Vor ein paar Wochen hatte mich ein Detektiv zur Unterstützung seiner Ermittlungen gebucht, weil einer seiner Klienten vermutete, dass seine Ehefrau außer ihm noch ein weiteres Betätigungsfeld hätte. Sie verstehen schon, was ich meine. Kurzum, ich musste die verdächtige Ehefrau über einige Wochen tagsüber engmaschig überwachen und sie von zuhause aus nach überall hin verfolgen. Friseurladen, Boutiquen, Schuhgeschäfte, Maniküre, Pediküre, nirgendwo war ein Lover in Sicht! Deshalb brach ich die Observation eines Mittags eigenmächtig ab, aß gemütlich irgendwo einen Döner und beschloss dabei, anschließend dem Detektiv Bescheid zu geben, dass er seinen Klienten beruhigen könne.

Ich flog also durch das geöffnete Fenster seines Büros hinein und was soll ich lange um den heißen Brei herumreden: Da überraschte ich den Detektiv mit eben dieser Frau des Klienten in eindeutiger Position in flagranti und der Detektiv blickte mir direkt in meine Drohnenaugen. So ein Pech!

Obwohl ich sofort meinen Abflug machte und zurück zu meiner Einheit flog, muss das Telefonat des Detektivs doch noch irgendwie ein wenig schneller gewesen sein, denn mein Chef empfing mich mit Zornesröte im Gesicht.

„Hast du etwa Aufnahmen davon gemacht und ins Internet gestellt, Bursche?“, brüllte er mich an. Ich verneinte beides kopfschüttelnd.

„137, wenn du noch einmal auf eigene Faust handelst und einen von mir erteilten Auftrag eigenmächtig veränderst, bist du entlassen!“, brüllte er mich an, als ich meinen Propeller abgestellt hatte.

Ich nickte artig und pflichtbewusst.

„Geht klar, Chef“, murmelte ich, „Sie können sich auf mich verlassen.“

„Dies ist eine Abmahnung!“, schrie er mir jedoch noch nach, nachdem er sich mit dem Fluch „Verdammtes Drohnenpack!“ von mir verabschiedet hatte.

„Siehst du, das hast du nun davon,137“, lachte mich die 117 genussvoll und schadenfroh mit ihrem durchtriebenen Augenaufschlag an, „ich habe heute lediglich über einer Eisdiele in der Innenstadt kreisen müssen, um die Anzahl der Gäste für eine hausinterne Statistik zu zählen. Dazu der himmlische Duft der vielen Eiskugeln, ein phänomenaler Job! Vanille, Schokolade, Malaga und Amarena!“

Ich ließ sie einfach stehen und hob ab.


Mein Auftrag als heimlicher Grill-Beobachter stand dem in keinster Weise nach, fand ich, aber warum sollte ich mich mit ihr streiten, da wir doch durch einen heimlich geschlossenen Komplott miteinander verbunden sind?


Ach so – der Komplott interessiert Sie? Der kommt später! Zunächst die die Grillfete. Habe ich noch nicht davon erzählt?

Also: Der Nachbar eines Nachbarn eines Nachbarn interessierte sich für die Grillausrüstung, die Grillstrategie und die Grillgewohnheiten eben desselben und hatte mich für den Abend der bevorstehenden Grillfete aller anderen Nachbarn gebucht. Er sagte mir ziemlich verstört und zornig, dass er als einziger aller Nachbarn leider nicht eingeladen worden war und dies nicht verstünde. Er fragte meinen Chef, ob unsere Firma ihm nicht zusätzlich zu den rein pragmatischen, technischen Grill-Informationen die Gründe für seinen Ausschluss liefern könnte.

„137, das ist eindeutig dein Job!“, hatte mein Chef spontan entschieden. Unbemerkt landete ich daher rechtzeitig im Kirschbaum, versteckte mich und filmte den ganzen Abend unbemerkt das feucht-fröhliche Geschehen.

Ich konnte nichts Außergewöhnliches an den Bratwürsten und dem weite-

ren Grillgut entdecken, aber diese Beurteilung stand mir eigentlich nicht zu, das hatten andere, nämlich der Auftraggeber, zu entscheiden.

Allerdings schien alles gut zu munden, denn alle schmatzten nach Herzenslust. Und erst die Gespräche! Ein einziges Ablästern gegen mei-nen Auftraggeber, den Verschmähten. Er hätte bei jedem und überall gegen jeden gehetzt. So war die einhellige Meinung aller anderen Nachbarn. Aber ich darf hier keine weiteren Details preisgeben, Sie verstehen schon, bei meiner Drohnen-Ehre, sonst verlier´ ich meinen Job! Sorry! Ich habe, wie Sie ja wissen, bereits eine Abmahnung.


„Chef, hier ist mein schriftlicher Bericht über den gesamten Abend! Der übliche Tratsch unter Nachbarn! Ablästern und Kleinkrieg gegen unseren Auftraggeber. Eigentlich ist nichts weiter passiert, das Grillen ist ausge-sprochen unauffällig verlaufen, nur eine kleine Stichflamme am Anfang, das war´s auch schon. Sie grillten übrigens eingelegte Halssteaks, Bratwürste und Bauchfleisch! Bemerkenswert war nur, dass zum Schluss der Fete einige sturzbetrunken über die Treppenstufen torkelten, aber das dürfte wohl ohne Belang sein! Und einigen schien es richtig schlecht zu gehen, Chef! Sie wissen schon, was ich meine!“

„Still,137, auf der Stelle, so eine subjektive Beurteilung der Auftragslage steht uns und dir nicht zu!“, hatte er mich angeschnauzt, „wir müssen nur die Aufträge ausführen, sonst nichts! Das gibt eine erneute Abmahnung! Noch eine – und du fliegst!“

Ich verstand den Doppelsinn dieser Aussage sogleich.

„Geht klar, Chef, Sie können sich auf mich verlassen!“

„Gut, 137, aber jetzt habe ich einen Spezialauftrag für dich, hör´ gut zu! Ich glaube, dass deine Kollegin 117 ihren Job schlecht ausführt und außerdem immer wieder bezahlte Zusatzpausen einlegt. Das ist nicht gestattet, aber mir fehlen noch die glasklaren Beweise! Du wirst sie mir liefern, sonst bist du entlassen! Du wirst sie ab sofort überwachen, ver-standen? Aber sei vorsichtig, damit sie dich nicht bemerkt, sonst zieht sie noch wegen der Lappalie vor´s Arbeitsgericht!“


Also flog ich los und überwachte meine Kollegin zwei Wochen lang, ohne dass mir an ihr etwas auffällig erschien. Sie erfüllte ihren Dienst vorbild-lich, pünktlich und pflichtbewusst. Eine Muster-Drohne eben!

Doch bei einem waghalsigen Wendemanöver meinerseits (sonst hätte sie mich wahrscheinlich entdeckt), bemerkte ich, dass in einigem Abstand hinter mir mein Freund, die 91, herflog.

Ich änderte daraufhin meine Route, flog ihm entgegen und stellte ihn zur Rede, was er hier täte.

„Ich muss dich überwachen“, meinte er zerknirscht und blickte voller Scham zu Boden, „sonst verlier´ ich meinen Job.“

Wir blickten nach hinten und erblickten einen weiteren Kollegen, der meinem Freund, der 91, offensichtlich heimlich gefolgt war.

„Mein Gott, was ist bloß aus uns geworden“, schrie ich, „wir sind ja alle Denunzianten!“

Gemeinsam flogen wir zu unserer Kollegin und erklärten ihr die Sachlage.

Sie war ziemlich verstört und weinte bitterlich wegen des Misstrauens unseres Chefs.

Gemeinsam warteten wir, bis schließlich alle vierhunderteinundzwanzig Drohnen beisammen waren … die gesamte Armee … die gesamte Drohnen-Armada von „deinedrohnekommtinshaus.de“ hatte sich nämlich offenbar selbst zu überwachen gehabt!

Wir schlossen einstimmig einen Komplott, uns unter keinen Umständen mehr gegenseitig ausspionieren zu lassen, flogen gemeinsam im Konvoi zum Büro des Chefs, durchbarsten die Fensterscheiben und stellten ihn mit unseren funkelnden Drohnen-Augen und fuchtelnden Drohnen-Armen vor die vollendeten Tatsachen.

Stellen sie sich das nur vor: Vierhunderteinundzwanzig drohende Droh-nen in einem einzigen Raum.

Der Chef wurde leichenblass und wir stellten unsere Forderung, die gegenseitige Überwachungsmaschinerie sofort einzustellen.

„Sonst kündigen wir alle auf einmal!“, dröhnten wir im Chor und ließen dazu unserer  Propeller rotieren.

Unserem Chef blieb nichts anderes übrig, als dem zuzustimmen.

Und seitdem fliegen wir wieder unsere „normalen“ Einsätze.


Nun, ich könnte noch zahlreiche kuriose Einsätze, auch von meiner Kollegin Nummer 117, schildern, aber ich werde gerade jetzt ziemlich melancholisch, um nicht zu sagen traurig und verzweifelt, denn ich muss soeben an andere Kollegen denken, an jene, denen es beileibe nicht so gut geht wie uns. Die sich nicht zusammenschließen oder wehren können oder konnten:

An jene Kollegen, die irgendwo, zu irgendeiner Zeit, willenlos gehorchen müssen, um Menschenleben auf Knopfdruck zu zerstören, kleine Kinder, Zivilisten, junge Mütter, und dann frage ich mich, was meine, ja unsere Drohnen-Daseinsberechtigung ausmacht, warum ich, ja warum wir Drohnen überhaupt erschaffen wurden.

Dann durchzuckt ein schrecklicher Gedanke urplötzlich mein armseliges Drohnen-Gehirn und dieser Gedanke fährt mir bis hinab in mein Drohnen-Mark.

Mir wird schlecht, ich muss mich übergeben, tue es und fühle mich trotzdem nicht besser.

Mir schaudert und ich zittere am ganzen Körper.

Was wäre gewesen, wenn Hitler so eine Drohne schon damals zur Verfügung gehabt hätte … nicht auszudenken …

Aber Kriegstreiber gibt es immer noch so viele … die werden nicht weniger … und mich fröstelt erneut … Putin und andere … kommt zur Vernunft … endlich ...





 

 

Hier geht´s zur nächsten Seite:

Däs is mei leddsdes Mundarddexdla gween